Speziallager

Seid lieb zu Sascha!

Alexander Latotzky, Berlin 1959; Foto: Privatarchiv A. Latotzky

Seid lieb zu Sascha!

Alexander Latotzky, Kinderheim Klinga, 1953;
Foto: Privatarchiv A. Latotzky

Seid lieb zu Sascha!

Ursula Hoffman während ihrer Haft 1955;
Foto: Privatarchiv A. Latotzky

Seid lieb zu Sascha!

Urteil vom April 1946; Foto: Privatarchiv A. Latotzky

1945 - 1950

Erinnerungen von Alexander Latotzky

„Es war im März 1946, als zwei Rotarmisten meine Großmutter vergewaltigten. Danach haben sie sie erdrosselt. Das war im Westsektor, in Berlin-Schöneberg, aber Sektoren spielten noch keine Rolle. Als meine damals 20-jährige Mutter nach Hause kam, lagen die beiden Mörder noch betrunken im Zimmer.
Meine Mutter meldete das bei der Polizei und die Staatsanwaltschaft begann zu ermitteln. Doch dann beschlagnahmte die sowjetische Kommandantur die Akten,
und statt der beiden Rotarmisten verhafteten sie meine Mutter. Sie verurteilten sie als ‘amerikanische Spionin’ zu 15 Jahren Zwangsarbeit und schickten sie ins Arbeitslager Torgau.
Dort, in der Haft, verliebte sie sich in einen ukrainischen Bewacher - und der sich in sie. Meine Mutter wurde schwanger. Als das Verhältnis herauskam, verschwand mein Vater sofort.
Ihr sagte man während der Verhöre, er sei wegen ‘unerlaubter Kontakte zu einer Deutschen’ nach Sibirien deportiert und dort hingerichtet worden. Sie hat das bis zu ihrem Tod auch geglaubt... es entsprach ja ihrer eigenen Erlebniswelt.

1948 wurde ich geboren, im sowjetischen Speziallager Nr. 4
in Bautzen. Von dort wurde meine Mutter dann mit mir ins Speziallager Nr. 1 nach Sachsenhausen transportiert. Ich war nicht das einzige Kind in einem solchen Speziallager, insgesamt müssen es über hundert gewesen sein. Offiziell existierten dort aber keine Kinder: Deshalb bekamen die Mütter auch keine zusätzlichen Essensrationen, keine Milch, keine warme Kleidung. Die Frauen schliefen mit uns Kindern so wie alle Häftlinge auf harten Pritschen. Ohne Decken. Manchmal durften sie sich Kleidungsstücke verstorbener Häftlinge aussuchen, um daraus Windeln und Jäckchen für ihre Kinder zu nähen. Sie wärmten uns kleine Kinder mit ihren Leibern, sie versuchten, uns das Wort Mama beizubringen. Und sie trösteten einander...

1950 lösten die Sowjets ihre Speziallager auf, auch Sachsenhausen. Wir wurden mit etwa tausend Frauen und dreißig Kindern in Viehwaggons verladen und nach Hoheneck transportiert, ins berüchtigte Frauengefängnis im erzgebirgischen Stollberg. Und hier wurde ich meiner Mutter dann weggenommen - da war ich 2 Jahre alt. Voller Verzweiflung legte sie mir einen Zettel bei, auf dem stand: ‘Seid lieb zu Sascha. Er hat immer in meinen Armen geschlafen’...
Für mich begannen Jahre des Wanderns durch verschiedene DDR-Kinderheime, ich erinnere mich an fünf. Schon bald hatte ich das Wort Mama vergessen. Doch dass ich eine Mutter hatte, erfuhr ich auf brutale Weise: Ich durfte nämlich nicht mit in die Pionierorganisation eintreten, weil meine Mutter ‘etwas sehr schlimmes’ getan habe. Ich wurde richtig sauer auf diese Mutter...

1956 wurde sie entlassen, und nun begann sie, um mich zu kämpfen. Ein Jahr später durfte sie mich zu sich holen: Ich war inzwischen 9 Jahre alt, als eines Tages vor mir eine völlig fremde Frau stand und behauptete, sie sei meine Mutter. War sie es, derentwegen ich kein Pionier werden durfte? Ich siezte sie ziemlich lange.

Meine Mutter hat später kaum mit mir über das Erlebte gesprochen. Es blieb ihr auch nicht mehr viel Zeit:
1967 starb sie - mit nur 41 Jahren...
Meine Mutter hieß Ursula Susanna Hoffmann.”

Hintergrundfoto: Gedenkstätte Sachsenhausen